Keine Frauen, keine Steuervorteile

Ein Verein ist gemeinnützig, wenn er nach Satzung und tatsächlicher Geschäftsführung selbstlos, ausschließlich und unmittelbar die Allgemeinheit fördert. Das gilt für den Schutz von Minderheiten, zur Erforschung von Krankheiten, für den Tier- und Artenschutz, aber auch für die Verbundenheit mit Finnen, das Zerlegen von Kerzen oder andere interessante Brauchtümer. Doch damit könnte jetzt Schluss sein. Wer nämlich in seinem Verein keine Frauen zulässt, ist laut Olaf Scholz nicht gemeinnützig und sollte somit auch keine Steuervorteile haben. Ist der gute Mann zum Feministen mutiert oder haben ihm seine Wahlkampfstrategen Zahlen vorgelegt, die offenbaren, dass er mehr weibliche Wähler hinter sich bringen muss? Ach nein, er ist ja Finanzminister und muss Steuern sparen. Es geht also gar nicht um uns Frauen, sondern wie immer um die Kohle.

Durch diese Nachricht verbrachte ich die letzten Tage (mal wieder) viel Zeit mit Nachdenken über die Gleichberechtigung. Dieses Thema kommt ja ständig hoch und weckt in mir immer Ambivalenzen. Nach der Veröffentlichung über die Aussage des Ministers dachte ich spontan: „Bei diesen (pseudo)elitären Vereinigungen von weißen, selbstgefälligen Männern – wie z. B. noch in vielen Ruderclubs üblich – bekomme ich eine Gänsehaut“. Ich möchte die Bilder von schlagenden Verbindungen u. Ä., die sich diesbezüglich in meinem Kopf erzeugen, nicht näher beschreiben. Nur so viel dazu: Der Vorsitzende eines Berliner Ruderclubs sagte vor drei Jahren der ZEIT in einem Interview “Viele unserer Mitglieder wollen beim Rudern unter sich sein” und “in unserem alten Haus für eine Damenabteilung Duschen und Garderoben zu bauen, das wäre ein erheblicher Kostenaufwand.” Ich kommentiere das nicht und lasse es mal so stehen. Des Weiteren erinnerte der gute Mann sich „1967 gab es für die Frauen noch das Stilrudern. Da sind die Damen an einer Terrasse vorbeigerudert, auf der Kampfrichter saßen. Beurteilt wurden die Ästhetik und Eleganz.“

Und in einem älteren Artikel der Welt von 1999 äußerte der vorherige Vorsitzende des Clubs, dass das schwache Geschlecht bei diversen Veranstaltungen wie Bällen oder Weihnachtsfeiern durchaus willkommen, aber ansonsten für Frauen im Club nichts vorgesehen sei und betonte, dass Frauen beim Rudern nur ablenken. Oh je, es hat sich also scheinbar doch nicht so viel geändert die letzten Jahre. Langsam dämmert mir, wozu die Frauenquote gut ist. Bisher hatte ich sie immer belächelt und dachte mir, dass man als Frau, die ganz nach oben will, doch so viel Biss haben wird, dass man die Männer, die weniger begabt sind, auf dem Weg zum Ziel locker hinter sich lassen kann. Wenn ich die oben erwähnten und andere Berichte lese, scheint mir dies jedoch schwierig zu sein.

Übrigens: Die Debatte um Gendergerechtigkeit im Zusammenhang mit Gemeinnützigkeit hat nicht Herr Scholz eröffnet. In einem Artikel des Hamburger Abendblatts von Januar 2019 ging es um Hamburger Frauenclubs, die zukünftig auch Männer aufnehmen müssen. Na gut, es ging um jegliche Clubs, aber der Titel war ein Appell an die Frauen, was mir sehr gut gefällt, denn das ist ja auch eine Form der Gleichstellung.

Ich frage mich nun:
Was machen wir in Zukunft mit den Knabenchören und der rhythmischen Sportgymnastik?

In jedem Fall musste ich durch die Ansprache des Ministers auch wieder häufiger an die MeToo-Debatte denken. Als sie auf dem Höhepunkt der medialen Aufmerksamkeit war – ausgelöst durch die Berichte über Harvey Weinstein – war ich auch hier sehr gespalten. Meine ersten Gedanken:

  • Was bilden sich diese Typen „da oben“ eigentlich ein?
  • Wer einen kleinen Schwanz hat muss wohl so agieren
  • Grillt diese Typen am offenen Spieß

Doch nach vielen Wochen der öffentlichen Diskussion habe ich – gemäß meiner Natur – versucht, das Thema nicht so einseitig zu sehen, sondern im 180-Grad-Winkel. Und als ich es so betrachtete, gingen mir einige Beiträge ziemlich auf die Nerven und ich hatte auf einmal viele Fragen, die man sich auch als Frau mal stellen darf

  • Wenn eine Frau sich auf die Anmache einlässt („Naja, ein bisschen Flirt ist doch okay“, „Für diesen Job kann ich das schon mal machen“), ist sie dann unschuldig? Kann sie nicht„Nein“ sagen? Anmerkung: Ich rede hier nicht über Vergewaltigung; das ist die härteste Strafe wert und das Schlimmste, was man einer Frau antun kann
  • Warum ist mir das in all meinen Jobs noch nicht passiert? Gut, es gab diverse anzügliche Sprüche. Aber darauf habe ich entweder gelassen reagiert, weil ich es einfach nicht ernst genommen habe oder den Mann in die Schranken gewiesen. Aber vermutlich kann das nicht jede Frau. Gerade wenn es sich um den Vorgesetzten handelt und man seinen Job behalten möchte. Ich persönlich würde mich trotzdem wehren. Vermutlich nicht mit einem erhobenen Zeigefinger und Verweis auf die Gesetze, sondern mit einem heftigen Gegenspruch à la: „Haben Sie lange keinen häuslichen Sex gehabt?“ oder „Wenn Sie solch billige Sprüche bringen müssen, kann es mit Ihrer Libido nicht weit her sein“
  • Aber wie schaut es mit Frauen aus, die nicht nur ihren Job behalten möchten, sondern schier darauf angewiesen sind, weil sie beispielsweise alleinerziehend sind, keine Ausbildung haben und somit schwerlich einen neuen Job finden? Es wäre vermessen, wenn ich an dieser Stelle dazu rate sich trotzdem zu wehren. Ich kann eine solche Notlage vermutlich gar nicht beurteilen und hoffe, dass das AGG hier hilfreich ist
  • In § 4 des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes (AGG) steht: „Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.“
    Also unerwünschte Berührungen oder Handlungen würde ich in jedem Fall melden. Bei „Bemerkungen sexuellen Inhalts“ habe ich so meine Schwierigkeiten. Zählen dazu schon Sprüche wie: „Sie sehen heute aber hot aus“ oder „Ihr Rock ist ganz schön kurz“? Fände ich total unsinnig. Denn wenn ich mir einen sehr kurzen Rock anziehe oder sonstige figurbetonte Kleidung trage, muss ich mit dieser Reaktion doch rechnen. Ist das nicht der Fall, ist die Bemerkung allerdings sehr sexistisch. Ich bin halt nur der Meinung, dass man hier differenzieren muss
  • Wenn ich mich mit sehr jungen Männern unterhalte, finde ich diese diskriminierenden Verhaltensweisen kaum noch vor. Ich schätze doch, dass ihre Erziehung und auch die öffentlichen Debatten so viel bewirkt haben, dass die Spezies Chauvinist in der nächsten Generation ausgerottet ist. Aber vielleicht irre ich mich da auch. Denn ein Kinderfilm aus der Reihe Bibi & Tina von 2016 heißt schließlich: „Mädchen gegen Jungs“. Und das kleine Mädchen Prinzessinnen sein wollen und Barbies lieben, hingegen die kleinen Jungs sich mit Autos vergnügen und gern Feuerwehrmänner wären, ist auch noch gang und gäbe. Hat sich also doch nichts geändert?

  • Hätte ich meinen Ex-Chef verklagen können/sollen, weil er mich aufgrund einer schnippischen Antwort auf seine (leicht aggressiv gestellte) Bemerkung fragte, ob ich meine Tage bekäme? Dann hätte er mich aufgrund meiner Antwort „Leck mich am Arsch“ ebenfalls verklagen können. Aber so war halt unser Umgang miteinander – liebevoll und sehr direkt!
  • Nochmal zurück zu Mr. Weinstein: Bezüglich der – teilweise berühmten – Schauspielerinnen, die in seinen Dunstkreis kamen, bin ich gespalten. Wenn sie nicht wirklich gezwungen wurden durch körperliche Gewalt, hätten sie doch ablehnen können. Hieße dann aber auch, dass sie möglicherweise weiterhin von staatlicher Beihilfe hätten leben müssen. Dass der Typ trotzdem ein widerliches Arschloch bleibt, ist unumstritten. Aber ist man dann als Frau ein reines Opfer? Vielleicht schon, da männliche Schauspieler sicherlich deutlich seltener in diese Situationen gedrängt werden. Wenn nun aber alle Frauen sich wehren würden (ich weiß, das ist rein hypothetisch), käme dann kein Mann mehr auf die Idee, die Frauen sexuell zu belästigen?

Ich möchte ausdrücklich sagen, dass das nur Betrachtungen sind, die meinen Versuch unterstützen, alle Seiten zu sehen.

Der Artikel ist nun ein wenig „aus dem Ruder gelaufen“, da sich meine Gedanken überschlagen und ich dazu so unglaublich viel zu sagen habe. Es ist quasi alles aus der Feder geflossen, nicht strukturiert aber für euch, liebe Leser, hoffentlich in irgendeiner Weise nachvollziehbar.

Ich werde mich diesem Thema daher demnächst erneut widmen. Vielleicht befrage ich auch einige Freunde und Bekannte dazu.

Liebe Maike: Ich bin sehr gespannt, wie eine intelligente junge Frau in Berlin das Thema Gleichberechtigung sieht? Auch das wäre sicherlich ein ellenlanger Artikel. Vielleicht nimmst du erst einmal zu Olaf und MeToo Stellung?

Maike

Olaf Scholz finde ich witzig. Diese Gleichberechtigungs-Geschichte würde sich natürlich auch auf reine Frauen-Vereine auswirken. Die Vereine, die sich als gemeinnütziger Zusammenschluss für die selbe Sache wie der Finanzminister einsetzen: Menschenrechte für Mädchen und Frauen. Er würde also den Gemeinnutz und die Spender von denjenigen nehmen, die das Gleiche wollen wie er angeblich auch? Nehmen wir beispielsweise die TERRE DES FEMMES. „Menschenrechte für die Frau e.V. Gleichberechtigt, selbstbestimmt und frei“. Herr Scholz, Beschützer der Damenwelt, würde hier bestimmt gerne mitmachen. Darf er leider nicht, denn hier kämpfen Frauen für Frauenrechte. Ein eingetragener, gemeinnütziger Verein. Unter den Bedingungen: „Die Mitgliedschaft bei TERRE DES FEMMES ist Frauen vorbehalten.“ Auch dieser Verein würde wohl den Titel „gemeinnützig“ verlieren und könnte weniger wichtige Arbeit leisten. So viel dazu.

Ich muss zugeben, dass ich die MeToo-Debatten immer über mich ergehen ließ. Ich habe mich da nie großartig eingemischt oder Stellung bezogen, weil gefühlt sowieso JEDER dazu etwas gesagt hat. Meine Meinung wäre häufig überflüssig gewesen, weil sie der Masse entspricht.

Zu deinen Überlegungen will ich sagen, dass nicht jede Frau die belästigt wird und nicht darüber redet, um ihre Existenz bangen muss. Es gibt auch andere Gründe warum Opfer schweigen. Beispielsweise kann sie sich schuldig fühlen, die Situation mit verursacht zu haben. Oder ist so verwirrt, dass die Situation von ihr gar nicht als Übergriff erkannt werden kann. Das sollte man auf jeden Fall bei jüngeren Frauen bedenken. Oder auch bei älteren. Nicht jede ist taff und schlagfertig. Das soll jetzt auch nicht so rüberkommen, als müsste man sich die ganze Zeit wehren und nur auf der Hut sein. Ich meine nicht, dass ein flotter Spruch oder ein Luftkuss im Büro gleich als sexuelle Belästigung abgestempelt werden müssen. Aber aus männerdominierten Arbeitsumfeldern oder Berufsgruppen, die vorrangig mit sozial schwachen Menschen im Umgang sind, weiß ich, dass Frauen häufig mehr als nur das wegstecken müssen. Da geht die Belästigung gar nicht unbedingt von Führungspersönlichkeiten oder Kollegen aus, sondern von Kunden und Klienten. Und es ergibt sich eine neue Opfer-Problematik und so weiter und so fort. Du siehst, ich habe auch Tausend Gedanken zu dem Thema, kann sie aber nicht alle unter einen Hut bringen. Deshalb schließe ich in meinem neuen Artikel einfach an das Thema an und schildere zwei Fälle, in denen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz stattfindet. In beiden Vorfällen blieb dies ohne rechtliche Konsequenzen.

By | 2019-11-24T21:56:07+00:00 17. November 2019|Diese Woche|Kommentare deaktiviert für Keine Frauen, keine Steuervorteile