Mein Chef: Das Schwein!

Claudia nagelte letzte Woche in ihrem Artikel „Keine Frauen, keine Steuervorteile“ die Männer an die Wand. „Grillt diese Typen am offenen Spieß“ fordert sie. Die Rede ist von Männern in Macht- und Autoritätspositionen, die ihre Finger nicht bei sich lassen können. Genau genommen von denjenigen, die mit #MeToo an den Pranger gestellt werden sollen. Das Thema ist langsam durchgekaut, ich weiß. Trotzdem bleibt es wichtig, weil es sinnbildlich für unsere Gesellschafsstruktur spricht. Es ist einfach relevant, es ist aktuell. Deswegen habe ich hier auch kein schlechtes Gewissen, nochmal dieses Fass aufzumachen.

Was mich die ganze Woche beschäftigt hat zu diesem Thema ist die Frage:

Warum suchen sich Opfer von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz keine Hilfe?

Ich habe mehr als genug Geschichten gehört oder selbst erlebt, in denen eine sexuelle Belästigung stattfindet. Viele davon am Arbeitsplatz. In 99 % der Fälle hatte das kein Nachspiel. Die Täter sind in dem Fall ohne Konsequenzen davongekommen. Aber wieso melden die Opfer nirgendwo den Übergriff? Warum machen sie keine Anzeige? Claudia sagt, die Frauen würden sich häufig nicht trauen etwas zu sagen, weil sie den Job brauchen, sie ohne in einer Notlage wären. Aber das ist sicher nicht der einzige Grund. In den allermeisten Fällen, die mir begegnet sind, waren die Frauen verwirrt, wie in einer Schockstarre oder haben die Belästigung erst gar nicht als solche wahrgenommen. Sie konnten schlichtweg die Situation nicht einordnen. Zwei von diesen Geschichten will ich euch erzählen.

1. Der geleckte Architekt, Berlin

Sie ist 23 Jahre alt und arbeitet für das Jugendamt. Es nennt sich „Einzelfallhilfe“. Sie ist einer Familie anvertraut, in der ein junges Mädchen lebt. Mit einer schlimmen Nervenerkrankung geboren, ist die 15-Jährige von klein auf an den Rollstuhl gefesselt. Die superreichen Architekteneltern haben jeglichen behindertengerechten Schnickschnack für ihre Tochter installiert und so ein großtüriges und breitgängiges Haus für Drei geschaffen. Die Einzelfallhelferin kommt nun etwa zwei Mal die Woche, um mit dem Mädchen etwas zu unternehmen. Sie gehen zusammen ins Kino oder Shoppen. Wobei das Shoppen in Berlin für Rollstuhlfahrer eher wie eine Mischung aus Kleiderständer-Umreißen und Leute-Anrempeln ist. Auf jeden Fall kommt die junge Frau beim Abholen und Absetzen der Klientin immer mit den Eltern in Kontakt. Beide sehr attraktiv. Der Vater bot ihr manchmal eine Zigarette an, dann waren sie zehn Minuten allein auf dem Balkon. Irgendwann bat er ihr immer eine an. Er fragte sie aus, ob sie einen Freund hätte und versicherte ihr, dass sie gut aussähe. Sie fühlte sich geschmeichelt. Beim Abschied strich er ihr über die Schulter und schaute sie eindringlich an. An einem Tag sollte sie in dem Haus übernachten. Die Eltern wollten ausgehen und die Tochter musste vorm Zubettgehen umgezogen und an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden. Alles erledigt, im Schlafanzug auf einer Matratze neben der Klientin auf dem Boden liegend, öffnet sich die Tür einen Spalt und jemand kommt reingeschlichen. Die Eltern waren wieder zurück. Der Vater beugt sich über die junge Frau und flüstert ihr ins Ohr: „Komm rüber in mein Schlafzimmer. Ich und meine Frau schlafen getrennt.“ Sie ist aufgestanden und hinterhergegangen. Sie hat ihm gesagt: „Ich schlafe lieber bei deiner Tochter“ und ist weggegangen. Sie hat die Familie zwei Wochen später abgegeben und den Vorfall nie wieder thematisiert.

2. Der Heimleiter, Leipzig

Sie ist 26 Jahre alt und arbeitet in einem Kinderheim. Auf einem großen Gelände betreut sie 21 Kinder. Zu dem Job gehören auch Ausflüge dazu. Jeder will mal in den Urlaub oder ein Feriencamp. Da war es selbstverständlich, dass auch die junge Pädagogin mit auf eine viertägige Reise in ein Zeltlager an die Havel, kommen würde. Mit dabei: zwei weitere Sozialarbeiter, 14 Kinder und der Chef. Der Heimleiter war 56 Jahre alt und etwas beleibt. Jeder weiß, dass auch die Aufsicht pichelt, wenn die Kinder erstmal alle im Bett sind. Nach einem feuchtfröhlichen Abend an der Theke, folgte ein weiterer am Lagerfeuer. Bis auch die beiden beschwipsten Sozis sich verzogen hatten und die 26-Jährige allein mit dem Heimleiter und einer Flasche Schnaps am Feuer saß. Dann wurde er sehr schleimig: „Du siehst so schön aus. Ich kann mich immer kaum zusammenreißen wenn ich dich sehe. Ich will dich dann einfach nur küssen. Und vögeln.“ Sie war währenddessen wie gelähmt. Diese Direktheit ist ihr ungewohnt und unangenehm. Das kann doch nicht sein Ernst sein? Sie ist irgendwie geschmeichelt, denn es ist derselbe Chef, der mit ihrer Chefin verheiratet ist. Einer gestandenen Frau mit Meinung und Ahnung. Nun unterwirft er sich ihr, indem er ihr sagt wie sehr es schmerzt sie nicht berühren zu können. Vor allem im Schritt. Um seine Schmerzen angeblich zu lindern, hat er noch eine Bitte: „Darf ich mal unter deinen Pullover fassen?“ Ja klar, immer reinspaziert. Sie ist total verunsichert, hat mit ihrem Chef Schnaps getrunken und sitzt jetzt alleine im Dunkeln mit ihm. Während seine Hand ein paar Runden dreht, hofft sie, dass das alles war. Dass er nicht noch mehr will. Er kommt näher und küsst sie. Sie wendet sich nach ein paar Sekunden ab und verlässt die Situation. Freundlich erklärt sie, sie sei müde und gehe ins Bett. Er belässt es dabei. Sie lässt sich von ihrer Chefin (die Frau vom Perversen) nach dem Ferienausflug kündigen.

Diese zwei Storys sind meines Erachtens nach gang und gäbe. Das sowas passiert, ist nichts Besonderes. Junge Frauen werden verunsichert und manipuliert. Ihnen wird weiß gemacht, es wäre nichts Verwerfliches daran, einfach mitzumachen. Sie werden quasi dazu aufgefordert. Aufgefordert von einem Ranghöheren. Die gehören auf jeden Fall lebendig am Spieß gegrillt.

Jetzt will ich wissen, was du über diese Geschichten denkst, Claudia. Ist dir vielleicht in deinen 20ern etwas Ähnliches passiert?

Claudia

Solche Geschichten machen mich wütend. Hier versuchen die Männer ihre Machtstellung zu missbrauchen. Dass sie das versuchen, wundert mich nicht. Aber es ärgert mich, wenn sie damit durchkommen. Welche Reaktionen in derartigen Fällen angemessen wären, kann ich nicht beurteilen. Denunzieren über die sozialen Medien, den Ehefrauen die Situation schildern? Wäre das zu drastisch oder genau richtig? Ich weiß es nicht.

Du fragst, ob mir Ähnliches in dem Alter passiert ist. Nun, das liegt schon so weit zurück, dass ich mich nicht mehr an alle Situationen erinnern kann. Aber klar, Anmachsprüche im Büro gab es zuhauf. Und auch Blicke und Andeutungen, bei denen ich mich sehr unwohl gefühlt habe. Da ich aber damals schon recht vorlaut war und selbstbewusst wirkte (nicht wirklich war), fühlten sich die Männer sicherlich abgeschreckt, mehr bei mir zu versuchen. Damals wäre keine Frau auf die Idee gekommen, sexuelle Belästigungen zu melden. Wem auch? Eine/n Gleichstellungsbeauftragte/n oder eine Frauenbeauftragte gab es damals noch nicht.

Ich frage mich, ob ein Mann sich sexuell belästigt fühlen würde, wenn ich ihn in einer Bar anspreche „Du hast einen knackigen Hintern. Ich hätte Lust, mit dir zu schlafen“? Vielleicht sollten wir dazu mal ein Experiment machen.

By | 2019-12-01T12:50:47+00:00 24. November 2019|Diese Woche|0 Comments

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