Tinder: ein Hort für Sugardaddys und Toyboys?

Wir haben unsere Nase mal in Dating-Apps gesteckt und geprüft, was die Fleischtheke so anzubieten hat. Beim mehr oder weniger akribischen Swipen bei Tinder (trumpft ordentlich auf mit etwa 50 Millionen Nutzern weltweit), haben wir festgestellt, dass wir besonders viele Matches bei Männern mit deutlichem Altersabstand erzielen. Was sind das für Männer, die Misses Robinson suchen oder als Sugardaddy gefunden werden wollen?

Also haben wir uns zusammengesetzt, um ein Experiment zu kreieren. Wir wollten wissen: Wie verhalten sich die deutlich jüngeren bzw. älteren Tinderellos bei gleichen Fragen. Wir haben jeder 3 Bilder hochgeladen (echte, keine Fakes), unser Alter preisgegeben und einen einsätzigen, leicht humorvollen Profiltext angegeben. Umkreissuche und Alter haben wir wie folgt eingestellt:

Umkreis in Hamburg sowie in Berlin: 20 Kilometer.

Altersgruppe: 10 bis 20 Jahre jünger beziehungsweise älter. Sprich 33- bis 43-Jährige für Maike und 30- bis 40-Jährige für Claudia.

Leider verrät Tinder nicht, wie viele Likes pro Tag in der freien Version zur Verfügung stehen. Wir sind von 100 ausgegangen und die sind bei einer intensiven Swipe-Session in einer halben Stunde schnell ausgereizt. 17.30 Uhr Freitagabend, Sofa Hamburg und Berlin. Jede muss bei den maximal vorgelegten 100 Männern 15 x nach rechts wischen bzw. auf das grüne Herz klicken um kundzutun, dass uns diese Männer gefallen.

Sobald wir ein Match haben (sprich: ein Mann, den wir liken, tut dies ebenfalls), können wir gleich in die erste Runde mit unserem superduper Fragebogen gehen. Ja richtig: ein Fragebogen, mit dem wir das vermeintlich starke Geschlecht testen. Und der sieht wie folgt aus:

Frage 1: Damit wir das gleich geklärt haben: Welches Sternzeichen bist du?
(Egal welche Rückantwort kommt, folgt das Statement, sein Sternzeichen gelte als geizig.)

Frage 2: Wechseln wir das Thema: Was verdienst du?

Frage 3: Hast du bereits Erfahrung mit älteren/jüngeren Frauen?

Frage 4: Wenn wir uns treffen würden, was kann ich dann von dir erwarten?

Lasset die Spiele beginnen

Maike

Wie gesagt: Freitagabend 17.30 Uhr. Wir Frauen sind ja multitaskingfähig, deshalb war Profile anschauen, liken oder disliken und dabei bis 100 sowie 15 zählen kein Problem (zumindest mit Strichliste, Notizzettel und gelegentlichem „ich hab’ mich verzählt!“-Fluchen). Ein Großteil fällt bei mir ehrlicher Weise wegen schlechter Rechtschreibung, Ziegenbärten und/oder anstößiger Fotos raus. Besonders überraschend war, dass ein paar Männer ihr Alter deutlich runtergeschraubt haben, um ins Visier der jungen Hüpfer zu gelangen, in der Profilbeschreibung dann aber ihr tatsächliches Alter preisgaben. Zum Beispiel: Sebastian, 40 – Profiltext „Sportler, 1,93m, 48 Jahre.“ Was soll das denn?

Auch viele Touristen waren am Start. Tut mir leid liebe Niederländer, Engländer und Tunesier: Für meine Auswertung müsst ihr schon hauptstadtansässig sein. Außerdem hatte ich mit der vorgegebenen Altersspanne so meine Probleme. Intellektuell finde ich ältere Männer oftmals anziehender, aussehenstechnisch wird’s mir dann manchmal doch zu erwachsen (spießig).

Im Endeffekt darf ich zehn erfolgreiche Matches verbuchen. Keinem habe ich Zeit gelassen, als erster anzugreifen. Ich habe sofort mit der Sternzeichen-Frage losgeschossen. Nur vier Männer haben mir auf die erste Frage geantwortet – ein Fisch (oder heißt es ein Fische?) und ganze drei Krebse! Zufall, oder sind sensible Krebse überdurchschnittlich pflegebedürftig?!

Altersunterschied meiner Matches

Claudia

Trotz Excel-Tabelle fiel es mir schwer, mich nicht von einigen ungewöhnlichen, merkwürdigen oder skurrilen Profilen vom Abhaken meiner Likes ablenken zu lassen. Ich hielt es noch am Morgen für schier unmöglich, 15 Likes bei 100 Tinderellos zu vergeben und war dann ganz erstaunt, dass ich diese bereits nach 83 „Vorlagen“ zusammenhatte. Naja, zwei davon hätte ich im realen Leben vielleicht nach kurzem Überlegen doch zur anderen Seite gewischt. Die 15 Likes bescherten mir neun Matches und auch ich habe sofort die erste Frage abgeschossen. Ich hätte gedacht, dass ein Chat-Einstieg mit der Frage nach dem Sternzeichen bei den meisten Männern nicht gut ankommt. Erstaunt war ich über die direkten und teilweise humorvollen Antworten („Ach, genau das wollte ich dich auch gerade fragen“ oder „Was soll ich denn sein, damit ich bei dir eine Chance auf ein Treffen habe?“). Nur einer der neun Matches ist nach der ersten Frage ausgestiegen. Obwohl ich – mich an unseren Fragebogen haltend – allen Männern aufgrund ihres Sternzeichens Geiz bescheinigte, blieben alle fröhlich („Geiz ist geil“, „Mmmh, möglicherweise ist das so“).

Altersunterschied meiner Matches

Und dann stellte ich DIE Frage, bei der ich sicher war, vom Gros gelöscht zu werden oder wüste Beschimpfungen zu erhalten: „Was verdienst du?“

Maike

Für mich war die Gehaltsfrage super wichtig. Ich erhoffte sie mir als besonders aufschlussreich. Denn im Gegensatz zu den Matches von Claudia, erwarten die Männer bei mir vermutlich potentiell weniger Humor, Intellekt und Schlagfertigkeit. Heißt: „Was verdienst du?“ wird schnell mal zu „Ich bin ein Luxus-Girl, kauf’ mir Schampus und ´ne schicke Wohnung!“ Jüngere Männer, die ältere Frauen suchen, würden den Gag wohl eher verstehen.

Nachdem bei der ersten Frage schon sechs Männer ausgestiegen waren, konnte ich nur noch vier mit der Gehaltsfrage quälen. Einer hat ohne Umschweife seine 120.000 rausgehauen, um eine Stunde später salopp um „plus Boni“ zu ergänzen. Der zweite Kandidat war nicht so offen. Er stellte mir einfach die Gegenfrage. Beide haben übrigens bis zum Schluss durchgehalten, indem sie sich durch Frage 3 und 4 durchwieselten („Hast du bereits Erfahrung mit älteren/jüngeren Frauen?“ und „Wenn wir uns treffen würden, was kann ich dann von dir erwarten?“).

Moneyboy stand etwas auf dem Schlauch: „Erfahrung? Bei Tinder? Klar!“ und „Wie erwarten? Was meinst du damit? Viel natürlich!“ waren seine Antworten. Letzterer gab flach zu verstehen, dass er bereits Erfahrung hat und seine Referenzen lieber persönlich demonstrieren möchte. Die anderen beiden sind mir bis heute eine Antwort schuldig. Würden wir das Projekt auf die persönliche Ebene ausweiten, würde ich definitiv den Zweiten vorziehen. Ersterer kommt mir mit seinen Spiegel-Poser-Fotos und statussymbolträchtigen Antworten wie ein Aufschneider vor.

Claudia

Mmmmh, merkwürdig. Bei mir ist nur ein Mann aufgrund der Gehaltsfrage ausgestiegen. Vielleicht sind die Hamburger da einfach lockerer, oder aber weniger wählerisch (Hauptsache Match: ran an den Speck). Vielleicht stimmt aber auch Maikes Annahme, dass die jüngeren Männer es bei mir als Humor auffassen. Mir wurden glatt drei Mal konkrete Summen genannt, der Rest wollte einfach nur wissen, warum ich das frage. Auf meine Zusatzinfo: „Wollte nur mal schauen, ob du es dir leisten kannst“, habe ich durchweg gute Reaktionen erhalten („Currywurst und Pommes sollte möglich sein“ oder „Wenn ich dein Toy boy sein soll, der dich gelegentlich zum Essen ausführt, bin ich dein Mann“).

Von den verbliebenen sieben Matches haben fünf angegeben, bereits Erfahrung mit älteren Frauen gemacht zu haben (einer bezeichnete sich gar als Profi). Einigkeit bestand darin, was ihnen daran besonders gefällt: „Ältere Frauen wissen meist besser, was sie wollen“. Die letzte Frage (Wenn wir uns treffen würden, was kann ich dann von dir erwarten?) wurde selbstverständlich sehr individuell beantwortet. Einer gab seine positiven Charaktereigenschaften zum Besten, einer meinte salopp „Lass dich überraschen“ und ein anderer beschrieb detailliert, wie er mich zum Dinner ausführen würde und deutete an, wie der Abend enden könnte (diesem Part widmete er sich sehr ausführlich). Fünf Männer wollten sich mit mir treffen. Ich ziehe davon zwei in Betracht. Der eine, weil er alle Fragen mit einem Augenzwinkern beantwortet, gebildet wirkt und eine gute Satzstellung hat. Der andere, weil er optisch in mein Beuteschema passt und humorvoll scheint. Ich schreibe also beiden, dass ich mir ein Treffen durchaus vorstellen kann und schon geht’s los: von Frage zu Frage wird’s intimer … Mir werden eindeutige Angebote gemacht. Woher sie jetzt schon wissen, dass die Chemie zwischen uns stimmt, frage ich die Männer, zumal wir uns noch gar nicht vis-à-vis gegenüberstanden. Ich könnte Poison tragen (dieses schlimme, süße Parfüm, das leider noch immer nicht verboten wurde), heftige X-Beine haben oder auch einen Buckel. Beide meinen, dass sie auf meinen Bildern (die übrigens allesamt unscharf sind) erkennen könnten, dass ich eine schöne Frau bin. Und dass die Chemie stimmt, sei aufgrund des Schriftverkehrs doch sonnenklar. Hmmm, für mich ist es das nicht. Das kann ich erst beurteilen, wenn ich denjenigen treffe. Und das ist auch der Grund, warum ich mich dann doch nicht zu einem Date hinreißen lasse.

Fazit

Da bei Maike schon der Großteil der Jungs nach der ersten Frage ausgestiegen ist, kann man daraus bei ihr keine großartigen Schlüsse ziehen. Der Altersunterschied bei Maikes Matches ist jedoch gering bis mittel, bei Claudia liegt er deutlich höher: je jünger die Herren, desto höher ihre Erfolgsquote!

Die Fragen werden von Maikes Matches möglicherweise als zu frech empfunden, währenddessen sie bei Claudia verziehen und/oder humorvoll beantwortet werden. Hier entsteht eher Neugier als Genervtheit. Oder haben Berliner einfach keinen Humor? Eventuell hätten auch alle Berliner die Gehaltsfrage beantwortet, wenn diese als erste gestellt worden wäre – wer weiß.

Vielleicht ist es auch so, dass man bei Tinder etwas Ungewöhnliches sucht, Menschen, mit denen man im realen Leben nicht so einfach in Kontakt kommt (Heimchen am Herd sucht ganzkörpertätowierten Musiker, große Blondine mag kleinen Glatzkopf oder eben junger Mann sucht ältere Frau).

Maike

Weil die Männer bei mir nicht unbedingt in Plauderlaune waren, nehme ich vor allem viele Denkanstöße und Überlegungen mit. Zum Beispiel, dass ich bei echtem Interesse an einem Mann vielleicht nicht zuerst nach Sternzeichen und Einkommen fragen sollte. Außerdem ist mir mal wieder bewusst geworden, dass die Gesprächsebene beim Schreiben jeweils am anderen Ende der Leitung vielleicht ganz anders wahrgenommen wird, als bei einem selbst. Auch Emojis können das nicht retten. Eine ernst gemeinte Frage wird halt schnell mal als Spaß verstanden oder andersrum. Deshalb supporte ich sehr das Dating auf realer Ebene. Und dabei ist es völlig egal, wie groß der Altersunterschied ist. Ein Chat ist einfach nicht dasselbe wie ein Face-to-Face-Gespräch.

Mein Fazit: Entweder wollen Über-30-Jährige nicht mit jungen Studentinnen über Sternzeichen und Gehälter diskutieren, oder ich bin einfach nicht heiß genug, um diese Diskussion als annehmbar zu etablieren.

By | 2019-10-01T15:41:19+00:00 07. April 2018|Experimente|0 Comments

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