Das mit den Kindern

Maike

Vor ein paar Wochen durfte ich Teil einer Hochzeitsgesellschaft sein. Es war die erste Einladung auf eine Bekennung zum Liebesbündnis, die ganz für mich allein bestimmt war. Stolz wie Bolle stand es außer Frage, ob ich eine siebenstündige Fahrt ins dunkelste Bayern auf mich nehmen würde, um den vorbestimmten Platz meiner gewünschten Anwesenheit einzunehmen. Kohletechnisch, als Studentin mit einem Nebenjob, eine echte Herausforderung. Spritkosten, Hochzeitsgeschenk, eine neue Robe (auch Shoppen stand außer Frage) und eine Hotelübernachtung plus Frühstück, rissen ein bedeutendes Loch in meine Armutskasse. Allerdings bin ich kein geiziger Mensch. Ich gebe sogar gerne mit vollen Händen aus – und zwar alles, was ich in die Finger bekomme. Was sonst? Typisch Löwe halt.

Da ich noch jung bin und man die Feste in Berlin feiert wie sie fallen, hatte ich den für mich zuträglichen Alkoholgenuss am Tag vor der Hochzeit etwas zu hoch eingeschätzt. Die Abfahrt war für sechs Uhr morgens geplant. Eine liebe Kollegin, die auch eingeladen war, wollte mich mit ihrem Audi-Flitzer abholen, damit wir es pünktlich zur Trauung um 14 Uhr schaffen würden. Allerdings war ich bis drei Uhr morgens ziemlich beschäftigt. Bier und Pfeffi hielten die Party am Laufen. Außerdem hatte ich in der Kneipe einen Run am Kicker-Tisch.

Wecker um 5.30 Uhr: Dusche, Kaffee, Maikes Chaos-Beutel zusammengepfeffert und Abfahrt. Schminken würde ich auf der Fahrt machen, Frühstück beschränkte sich auf Kippen. Im nachhallenden Bier-Blues freute ich mich schielend auf den ersten Sekt.

In Berlin ticken die Uhren anders

Als Frau kommst du unweigerlich mit der Frage nach dem Kinderwunsch in Berührung. Nachfragen der Eltern, des Partners oder das Vorhalten von leibhaftigem Nachwuchs anderer, wie es auch auf der Hochzeit der Fall war und mich zu dieser Niederschrift bewegte, stellen dich an die Wand. Die Antwortmöglichkeiten sind ziemlich begrenzt: Kinder, ja oder nein?

Auf der Eheschließung schienen wir vier Mädels aus Berlin die Einzigen zu sein, die noch keinen Nachwuchs geboren hatten. Der Wunsch ohne Verpflichtungen jeden Tag genießen zu können und der immer weiter aufgeschobene, nichtexistenzielle perfekte Zeitpunkt, führten mir die Ladys in den 30ern als Gründe für das kinderlose Dasein an.

Ich bin in den 90ern geboren. Mit dem Bestreben immer mehr über die Welt zu erfahren und den für mich optimalen Bildungs- und Karriereweg für eine vollkommene Erfüllung meiner Person zu finden, sind die konventionellen Abläufe von einer 40-Stunden-Woche und Familiengründung nicht sehr präsent. Ich bin ich erst 24 Jahre alt, lasse mir regelmäßig bescheinigen, dass ich noch viel Zeit für solche Überlegungen habe und fokussiere mich vorrangig auf Ziele im Halbjahres-Zeitraum.

Was ich mich frage

Wie soll man ohne das “Mutter-Gefühl” zu kennen, wissen, ob man kleine Versionen von sich selbst großziehen möchte oder nicht? Verantwortung mit Bravur zu meistern ist eine Sache. Verantwortung, die mit Bravur gemeistert wird, aber nicht mehr abzugeben ist, die andere. Die Waage der Ansprüche, die an mich gestellt werden und die Realität scheint mir nicht ausgewogen. Ich soll selbstständig sein, soll eine gute Bildung genießen, soll mein eigenes Geld verdienen, um Wohnung und Lebensunterhalt zu finanzieren und soll zusätzlich noch Kinder in die Welt setzen und nebenbei großziehen – wie soll das gehen?!

Gehen wir nun von einer Lebensdauer von 70 Jahren aus. Der Zeitpunkt des frühesten Gebärens wäre bei mir nun mit 25, womit noch 45 Jahre Lebenszeit blieben, mindestens 18 Jahre davon abgezogen fürs Kümmern um den Nachwuchs (wobei ich aus eigener Erfahrung weiß, dass manche Kinder noch ein paar Jahre mehr Pflege brauchen). Das sind ganze 40 Prozent meiner theoretisch bevorstehenden Lebenszeit, die ich nur einem Kind aufopfern müsste – ziemlich krass. Und als angehende Informatikerin kenne ich mich mit Prozentrechnung aus.

Stimmen der Großstadt

Der Kontrast zwischen Familiengründung auf dem Dorf und Familiengründung in der Großstadt wurde mir auf der Hochzeit förmlich unter die Nase gerieben. Allerdings kann ich nur mutmaßen, dass das späte oder womöglich ausbleibende Kinderkriegen sich am Lebensrhythmus der Stadt orientiert. Deshalb habe ich in meinem Umkreis weiter rumgefragt, wie’s denn in den Köpfen anderer Frauen aussieht. Tatsächlich hatten einige Aussagen einen faden Beigeschmack, in dem ich mich selbst wiederfinden konnte. Aber lest selbst (alle Namen wurden verändert):

Grundsätzlich: Ja, ich will Kinder. ABER dazu gehören meistens 2 ;-). Ich habe keinen Typen und wie soll ich Kinder planen, wenn ich keinen habe? Irgendwie macht das auch Berlin, das sich das so hinzieht. Es nervt mich, es gibt einfach zu viele Menschen. Wenn man mal jemanden kennenlernen will, läuft das doch immer gleich ab. Am Freitag hatte ich wieder eine altbekannte Situation: Ich knutsche auf einer Party mit einem Typen rum. Er verspricht mir angesoffen das Blaue vom Himmel, ich habe schon die Hochzeitsglocken läuten gehört. Und dann meldet er sich einfach nie wieder! Arschloch.

Helga, 28, Zu viele Eier, zu wenig Würtschen

Ich habe eine Menge Freundinnen hier in der Stadt, die alle Anfang 30 sind und keine Kinder wollen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass man Angst hat, etwas zu verpassen. In der Großstadt ist die Hemmschwelle viel größer, sich extra Verantwortung aufzuladen. Auf dem Dorf ist es ganz normal, dass man früh Kinder bekommt – ohne ist es da wohl auch zu langweilig.

Ich persönlich wünsche mir drei Kinder, aber vor 30 werde ich dieses Projekt wohl nicht anfangen.

Doris, 23, Wird sich bemühen, nicht wie ihre Freunde zu enden

Maike, wir wissen beide, dass ich nicht mal ansatzweise reif genug dafür bin. Ich will keine Kinder haben. Außerdem könnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, schwanger zu sein. Also dieser Zustand an sich. Ich gebe mein Geld lieber für Dinge aus, die für mich einen Mehrwert haben. Reisen zum Beispiel oder mein fantastisches neues Bett.

Monica, 30, Hat sich den gleichen Gelschaum-Topper wie Maike gekauft

Die Zeit rennt dir davon. Ich will irgendwann mal Kinder haben, ja. Aber wir wollen’s mal nicht provozieren. Man ist dann einfach immer eingebunden, braucht viel Organisation und muss mega Abstriche machen. Das nervt. Natürlich will ich alles mitmachen, was mir über den Weg läuft, mit Kind geht dann einfach vieles nicht mehr.

Übrigens glaube ich, dass die meisten Kinder überhaupt nicht mehr geplant sind, sondern viel mehr ein Unfall. Dann ist das eben so, abtreiben würde ich auch nicht.

Petra, 25, Glaubt mehr an Unfälle, als an Kinderwunsch

Meine Tochter ist fast 2 Jahre alt und war definitiv nicht geplant. Für mich persönlich hätte sich das noch ein paar Jahre hinziehen können. Außerdem hatte zu diesem Zeitpunkt niemand aus meinem Freundeskreis Nachwuchs, das macht einem schon Angst. Viele suchen keinen festen Partner vor 30. Alle wollen noch reisen, ihre Freiheit genießen und auf Festivals fahren.

Mit 30 kommt die Torschusspanik und inzwischen haben in meinem Umkreis wirklich ALLE ein Baby. Vielleicht waren wir auch mitunter Auslöser dafür, denn ich und mein Freund galten bis dato als am unorganisiertesten in unserem Freundeskreis. Ohne feste Wohnung, beide Studenten und ohne regelmäßiges Einkommen. Und wir haben es trotzdem geschafft – alle haben gesehen: Man stirbt nicht davon. Dann haben die anderen angefangen nachzuziehen.

Anfangs waren wir noch in Brandenburg in einer Krabbelgruppe und ich war die älteste Mutter. Mit 30 die Älteste, krass oder?! Inzwischen sind wir in einer Kita in Friedrichshain und auf einmal bin ich die jüngste Mama.

Renate, 32, Mitverantwortliche eines Babybooms

Offensichtlich ist der grundlegende Kinderwunsch also bei vielen Frauen da. Allerdings fühlt sich der Drang zur tatsächliche Familiengründung noch weeeeeeit weg an. Denn die Umstände sind einfach nicht optimal. Und in der Großstadt scheint der Druck auch nicht so hoch zu sein. Zumindest nicht, solange man noch unter 30 ist.

Back to Bayern

Kinder tanzen um mich herum, stopfen sich mit Süßigkeiten voll und führen bayerische Gesänge an. „Was bedeutet das, was du da singst?“, frage ich ein achtjähriges Mädchen. „Kannst du etwa kein Bayerisch?“, feixt sie zurück. Ich gestehe, dass ich nur Hochdeutsch spreche und nie einen Dialekt gelernt habe. „Aber Bayern IST doch Deutschland! Wer kein Bayerisch kann, ist dumm!“

Ich trinke meinen Sekt auf Ex und schließe mich gedanklich der Kinder-sind-nix-für-mich-Fraktion an. Prost!

By | 2019-05-21T13:58:36+00:00 02. November 2018|Koryfeen-Geflüster|0 Comments

Leave A Comment