Berliner Arschlöcher

Maike

Ein frustrierender Fall von unterlassener Hilfeleistung

„Arschlöcher gibt’s überall“ hat mein Vater mir immer gepredigt. Und als ich an einem Mittwochabend in Tempelhof mit meinem Hund spazieren ging, erlebte ich eine Situation, die genau das bestätigt. Ich möchte euch von zwei Berlinern erzählen, die es geschafft haben, von mir persönlich für den Titel „Arschlöcher des Jahres“ nominiert zu werden.

Mein Indy ist ein ungeduldiger Hund. Als wir gegen 22 Uhr den Rückweg von unserem abendlichen Walk antreten, führt er ein Tänzchen auf. Er weiß, dass es zuhause Reis und Hühnchen gibt. Die Vorfreude ist nicht zu übersehen. Vor uns gehen drei Leute, es ist dunkel und ich erkenne im orangefarbenen Laternenlicht nur, dass es sich um zwei Frauen und einen Mann handelt. Nicht älter als 35. Sie bleiben kurz stehen und schauen rechts auf die Straße. Nein, zwischen zwei parkende Autos. Sie murmeln sich gegenseitig etwas zu und gehen dann weiter. Zehn Sekunden später spähen auch Indy und ich in die Parklücke und entdecken einen Mann von hinten, der auf dem Boden liegt und versucht sich an einem der Autos hochzuziehen. Er schafft es nicht und sackt zurück auf den Asphalt. Irritiert läuft mein Hund um mich herum, während ich mich auf den klassischen Familienvater, Mitte Vierzig mit Camp-David-Jeans und Jack-Wolfskin-Jacke, zubewege. Ich spreche ihn an und versichere ihm meine Hilfe. Als ich seinen Arm um meine Schultern lege, ihn versuche mit Rechts hoch zu stemmen und in der linken Hand meinen Hund halte, dreht der Mann sich mit seinem Kopf zu mir und blickt mich direkt an. Ich erschrecke, das habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen: Auf seiner Stirn hat sich eine Beule gebildet, die einem Tennisball gleicht. Es ein Horn zu nennen, wäre untertrieben. Ich kann mir nicht erklären wieso diese riesige Schwellung nicht aufgeplatzt ist. Aber mit Sicherheit muss sein Kopf etwas Heftiges abgekriegt haben. Ich vermute den Bordstein. Er ist jedenfalls geistig nicht anwesend und kann mir keine Frage beantworten. In meinem tölpelhaften Versuch ihn zu stützen, flippt Indy aus, bellt den Mann an und zieht an der Leine. Ich sehe, dass er auch an Händen und Armen verletzt ist. Er blutet und auch sein Bein schleift er hinter sich her, als wäre es außer Betrieb. Ich schiebe den Verwirrten in Richtung Bordstein und bitte ihn, sich hinzusetzen. Ich habe kein Handy dabei und mein Herz rast vor Scham. Ich habe das Gefühl, ich bin keine große Hilfe. Und warum gehe ich eigentlich ständig ohne Handy aus dem Haus? Wie egoistisch! Gerade an dieser Straßenecke ist wenig Betrieb und es fährt natürlich kein Auto zufällig vorbei, das ich anhalten könnte. Ich laufe zum nächstgelegenen Wohnhaus und klingle bei 10 verschiedenen Leuten, bis mich jemand reinlässt. Im 1. Stock an einer Haustür stehend (Indy hat sich im ganzen Hin und Her sein Geschirr halb ausgezogen und bedeutet mir durch Fiepen und Rumwuseln seinen Unmut), öffnet ein Mann einen kleinen Türspalt. Er hat winzig kleine, schlitzige Augen und trägt eine blaue, eckige Brille mit dicken Gläsern. Seine Halbglatze ist weißer als mein Hintern und seine Figur gleicht einem Hefekloß. Als er den Hund sieht, will er die Tür wortlos zuschieben. Ich spreche ihn leutselig an:

„Entschuldigen Sie bitte die späte Störung. Ein Mann ist draußen hingefallen und hat sich schwer verletzt. Ich habe kein Telefon dabei. Wären Sie so nett, einen Notarzt zu rufen?“

Er glotzt mich nur wortlos an. Ich lege nach: „Bitte, er sieht wirklich schlimm aus. Helfen Sie mir.“ Wieder sagt er nichts. Von drinnen höre ich eine krächzende Frauenstimme: „Der ist jetzt eh schon weitergegangen!“ Ich frage nach: „Sie haben ihn gesehen?“ „Ja“, antwortet der Kloß. Unfassbar. scheinbar haben diese Leute vom Fenster aus beobachtet, wie der Mann draußen hinfiel, sind weder rausgegangen ,um ihm zu helfen, noch wollen sie ihn jetzt unterstützen. Schockiert blicke ich den Mann an: „Rufen Sie bitte einen Arzt.“ „Wir rufen die Feuerwehr“ grummelt er und schließt die Tür zu. Auf diese Leute kann man sich nicht verlassen. Ich packe die Leine und laufe die Treppen wieder runter und raus auf die Straße. Ich sehe den Verletzten humpelnd um die Ecke biegen und beschließe, nach Hause zu rennen. Innerhalb von zwei Minuten stürme ich meine Wohnung und tippe 112.

Zu diesem Vorfall möchte ich ergänzen, dass der Mann, den ich gefunden habe, weder betrunken, noch ein Penner war. Nicht, dass es FÜR MICH einen Unterschied gemacht hätte. Doch viele Leute verhalten sich eben unter solchen Umständen noch asozialer als bei „normalen Bürgern“. Das Ganze hat mich zum Nachdenken gebracht. Über Anonymität in Großstädten und die fehlende Nächstenliebe. Ich möchte an die Herzen unserer Leser appellieren. An EUCH appellieren. Seid gut zu euren Mitmenschen. Seid hilfsbereit und verhaltet euch so, wie auch ihr es euch von anderen wünschen würdet, kämt ihr in diese Situation. Reicht Menschen eine Hand, die gefallen sind. Bietet Müttern einen starken Arm, die alleine einen Kinderwagen die Treppe hochtragen müssen. Bietet ein offenes Ohr für alte Menschen in der U-Bahn, die sonst keinen zum Reden haben. Antwortet Behinderten, die Orientierung und Kontakt suchen. Ruft den Kältebus für Obdachlose bei Minusgraden.

Seid einfach keine Arschlöcher.

By | 2019-10-01T15:43:56+00:00 13. Februar 2019|Koryfeen-Geflüster|0 Comments

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