Mamas Liebling

Seit fast einem Jahr gibt es einen neuen Mann in meinem Leben. Oder sagen wir eher: einen Jungen. Indy, ein Mischlingshund aus dem Tierschutz mit 26 kg Kampfgewicht, 16 Monate alt und gemustert wie eine Kuh, hält mich jeden Tag auf Trab. Ich habe mir das Tier angeschafft, um einen ständigen Begleiter und Beschützer zu haben. Doch so schön es zeitweise ist, hat das Leben als Hundebesitzerin auch seine Schattenseiten. Abgesehen davon, dass ich ständig von fremden Leuten angequatscht werde (was nicht immer scheiße ist, so antisocial bin ich dann auch nicht), lerne ich außerdem andere Hundebesitzer kennen. Eine für mich ganz neue Gesellschaftsschicht präsentiert sich mir immer häufiger von seiner absurdesten Seite.

Was mich zum Thema der Woche führt: das Helikopterfrauchen. Oder Herrchen. Auf dessen Stirn steht: „Ich erfülle meinen Kinderwunsch mit einem Hund.“ Woran im ersten Moment nichts auszusetzen scheint, jagt mir inzwischen immer öfter einen Schauer über den Rücken. Warum in aller Welt bezeichnen sich so viele Hundebesitzer selbst als „Mama“ oder „Papa“?!

Wurde dieses Tier aus dir geboren? Hast du in irgendeiner Weise etwas mit dem genetischen Ursprung zu tun? Oder kann man seit Neustem auf Wunsch plötzlich seine Rasse ändern? Darf DEIN KIND etwa im Kinderkarussell mitfahren? Diese Art der Beziehung zu einem Tier ist für mich einfach grotesk.

Das extreme Ausmaß wurde mir in einem Hundeauslaufgebiet klar. Ich sitze auf einer Bank während sich jeglicher Kinderersatz um mich tummelt, rauche eine Kippe nach der anderen und plötzlich öffnet sich das Gittertor. Ein junges Pärchen (vielleicht Ende 20) kommt mit ihrem kleinen Terrier-Mischling auf den Platz. Er ist fest eingeschnürt in ein Julius-K9-Geschirr (diese Marke scheint sehr angesagt bei Hundebesitzern und soll wohl sowas wie Michael Kors oder Louis Vuitton bei Mädels aus der Oberstufe signalisieren). Der kleine hellbraune Racker kommt auf den Rasen getrabt und anstelle des Markennamens ist „MAMAS LIEBLING“ auf seinem Geschirr eingenäht. What the fuck? Ich schließe die Augen, damit niemand sieht wie massiv ich sie verdrehe und muss einen Moment innehalten, um nicht vor Scham und Belustigung prustend loszulachen. Und anstatt den Liebling wild mit den anderen „Kindern“ toben zu lassen, rennt Mama die ganze Zeit hinterher. Die Helikoptermutter, die beinahe tot umfällt, als ihr Hund durch Bellen von anderen Hunden zum Spielen aufgefordert wird. Blitzschnell unter ihren Arm gepackt, wird der wahrscheinlich sozialbehinderte Hund wieder aus der Runde entfernt. Es ist für mich die Spitze des Eisbergs. Ich stelle mir vor wie die runde Blondine abends auf dem Sofa sitzt, Händchen haltend mit ihrem verständnisvollen Partner und dabei ihren Liebling säugt.

Leider ist dieses Horrorszenario nicht das einzige, welches mir hier in Berlin begegnet. Leute lecken, wirklich LECKEN, ihrem Hund zurück ins Gesicht. Manche Vierbeiner haben mehr Klamotten als ich und Chiwawas werden sogar in Kinderwagen über den Alex geschoben.

Seitdem ich meinen Hund habe ist mir nicht ein einziges Mal in den Sinn gekommen, ihn als mein Kind oder mich selbst als seine Mutter zu bezeichnen. Wieso ist das also bei so vielen anderen Leuten der Fall? Bin ich zu rational oder sogar herzlos oder haben die anderen, was zu 99,9 % wahrscheinlicher ist, den Bezug zur Realität komplett verloren? Und was kann man dagegen tun? Diese Umgangsform ist doch weder für den Menschen, noch für das Tier zuträglich. Hunde wollen nicht verhätschelt und bedient werden. Sie wollen erzogen werden und in einem intakten Rudel leben. Ist es so schwer ein Tier als ein Tier anzusehen? Und wie kann man diesen irrationalen, debilen Menschen helfen?

Eine Überlegung hierzu wären Interventionsveranstaltungen. Hilfe zum Selbstschutz. Den Leuten muss vor Augen geführt werden wie extrem sie sich verhalten. Und wie extrem sie anderen damit auf den Sack gehen.

Was ich mich nun frage: Bin ich die einzige, die sich ewig über Helikopter-Frauchen und Herrchen echauffiert? Welche Umgangsformen sind überhaupt grenzüberschreitend? Um das rauszufinden, haben wir eine Umfrage vorbereitet. Mach mit, dauert nur eine Minute!

👉 Umfrage: Wie verhätschelt dürfen Hunde sein?

Und bevor ich’s vergesse: Claudia, was sagst du als Nicht-Hundebesitzerin zu der ganzen Sache?

Claudia

Wie du weißt, habe ich keinen Hund (m/w/d). Hätte ich einen Garten im Grünen und könnte mich kümmern, würde ich mir bestimmt einen zulegen. Denn ich mag Hunde (m/w/d) sehr sehr gern, am liebsten die Größeren. Die Kleinen sind oft ein bisschen zickig und kläffen viel, aber irgendwie müssen sie sich ja auch gegen die Größeren durchsetzen. Aber das Verhalten von dem Paar, das du beschrieben hast, hat mir auch eine Gänsehaut bereitet. Wenn Omas oder Opas mit ihrer/ihrem Liebsten Gassi gehen und permanent mit ihr/ihm reden, finde ich das völlig in Ordnung – ist bestimmt eine Auswirkung von Einsamkeit. Und witzig finde ich es, wenn große Kerle, die vor lauter Muskelbergen kaum laufen können, einen kleinen Köter (m/w/d) auf dem Arm tragen. Das hat was von „Der Zarte und der Harte“. Die meisten Situationen in der Umfrage lehne ich aber ab. Nun gut, einen Hund (m/w/d) mit Essen vom Tisch zu füttern, ist meiner Meinung nach – je nach Situation und Tier– ganz okay.

Nun schauen wir doch mal, was die Umfrage ergeben hat.

  • 73 % der Befragten sind Hundebesitzer, was bedeuten könnte, dass diese Gruppe mehr Interesse an solch einer Umfrage hat oder dass uns Hundebesitzer besonders zugetan sind
  • An der Umfrage hat sich das weibliche Geschlecht deutlich mehr beteiligt (85 %)
  • Die Altersstruktur ist sehr ausgeglichen. Jeweils 40 % sind 18–30 Jahre und 45–60 Jahre alt. Der Rest liegt dazwischen

Und hier die Ergebnisse

Als richtig akzeptabel gilt scheinbar nur, wenn die Hunde gelegentlich im Bett schlafen und man sich das Gesicht 1–4,99 Sekunden ablecken lässt; danach ist schon Schluss mit der Akzeptanz. Da die meisten der Befragten einen Hund besitzen, bin ich doch ein wenig verwundert, dass nicht mehr geduldet wird.

Die größten Aversionen scheinen zu sein: menschenähnliche Einkleidung, einen Hund im Kinderwagen auszuführen, zurückleckende Mamis und Papis sowie eine Handtasche als Transportmittel. In diesen Fällen sind sich Besitzer und Nichtbesitzer von Hunden über alle Altersstufen hinweg einig.

Die Gegner des selbst kurzen Abschlecken lassens sind fast ausschließlich über 30 Jahre alt und Hundebesitzer. Die, die keinen Vierbeiner haben stört es vermutlich nicht, weil es ihnen ja eh nicht widerfährt.

Der Großteil der 18 bis 30-Jährigen findet es akzeptabel, Hunde gelegentlich (66 %) und auch grundsätzlich (53 %) im Bett schlafen zu lassen. Da ist man sich bei den anderen Altersgruppen nicht so einig.

Die Gruppe der Hundelosen ist den meisten Handlungen gegenüber sehr aufgeschlossen. Was ihnen aber überhaupt gar nicht gefällt (90 %), ist „Mamas Liebling auf dem Geschirr“. Warum sie das soviel schlimmer finden als sich ablecken zu lassen … man weiß es nicht.

Generell ist eine differenzierte Betrachtung immer gut, wie der folgende Kommentar zu unserer Umfrage zeigt „Solange der Hund noch Hund sein darf, bin ich auch weiterhin die “Hundemama” und der Hund das “Hundekind”. Das sind auch nur Worte, solange man trotzdem eine klare Führung behält und dem Hund ein strukturiertes “Rudel” bietet.“

Jetzt noch eine Bitte von mir an alle Hundebesitzer: Nutzt die Hundekotbeutel. Die gibt es in Hamburg bei Budni (das ist eine Drogeriekette) zum Beispiel umsonst – bestimmt auch irgendwo in Berlin und anderswo. Dann muss ich mich nicht mehr ärgern; denn zur Zeit trete ich noch regelmäßig in die Hinterlassenschaften von den süßen Rackern. Danke für euer Verständnis.

By | 2019-10-20T15:44:15+00:00 13. Oktober 2019|Diese Woche|0 Comments

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