Nieten in Nadelstreifen

Claudia

In sechs Monaten lege ich vor der IHK eine Prüfung zur Personalfachkauffrau ab. Ich bin immer noch erstaunt über diese Bezeichnung, da die meisten vergleichbaren Abschlüsse eine Wirtin in der Bezeichnung tragen. Auch wundere ich mich darüber, dass die englische Sprache hier noch keinen Einzug gehalten hat.

Ich weiß genau, in welchem Bereich ich später arbeiten möchte. Was ich jedoch nicht weiß: Wie heißt die Jobbezeichnung dafür üblicherweise? Wäre ja gut zu wissen, wenn ich mich bewerbe. Ich lasse mir also bei Stepstone alle Jobs im Personalbereich auflisten – ohne weitere Eingrenzung. In der Ergebnisliste wird relativ weit oben eine Tätigkeit als „Payroll specialist“ angeboten. Ich muss lachen. Das ist heute wohl die gängige Bezeichnung für einen Lohn-/Gehaltsbuchhalter. Dann finde ich auch diverse andere Bezeichnungen, die mir wenig sagen; einige davon haben auch nichts mit Personalwesen zu tun, aber das ist wohl der Tatsache geschuldet, dass die Kunden (also die, die dort Anzeigen einstellen) alles mögliche ankreuzen, ohne weiter nachzudenken. In jedem Fall ist meine Neugier geweckt.

Ich schaue einfach mal in den verschiedenen Bereichen, die mir nicht ganz fernliegen, z. B. Marketing und Vertrieb nach, was dort so angeboten wird. Es macht so viel Spaß, dass ich damit einige Stunden verbringe. Mitunter bizarre und teilweise denglische Wortschöpfungen, unter denen ich mir absolut gar nichts vorstellen kann. Obwohl: vorstellen schon, schließlich habe ich eine rege Fantasie. Wenn ich mir dann aber das Aufgabengebiet anschaue, stelle ich fest, dass ich etwas völlig anderes vermutet habe. Warum ist das so? Soll das möglicherweise totale Idioten davon abhalten, diese Zeilen anzuklicken oder ist das dem Bullshit-Bingo entsprungen, das in vielen Büros während langweiliger Meetings Einzug gehalten hat?

Hier ein paar Jobbezeichnungen, unter denen sich meines Erachtens nur Menschen etwas vorstellen können, die diesen Begriff schon auf ihrer letzten Visitenkarte stehen hatten oder hätten stehen haben wollen. Das heißt wohl, man möchte unter Seinesgleichen bleiben.

  • Product Owner
    • Diesem Menschen gehört ein Produkt? Im Ernst? Aufgrund der Beschreibung schätze ich, dass dies den ehemaligen Begriff „Product Manager“ ablöst, verstehe diese Änderung aber noch weniger als gar nicht
  • Inside Sales Salesforce Mitarbeiter
    • Hier hat man etwas gedoppelt und vorsichtshalber noch ein deutsches Wort drangehängt, damit sich auch jeder angesprochen fühlt. Vielleicht meinen sie einfach einen Verkäufer?
  • Endpoint Clientmanagement Administrator
    • Da legt jemand wohl die letzten Akten der Kunden an (danach ist der Kunde quasi keiner mehr)
  • Tétris-Senior Project Manager Office Furniture
    • Büromöbel, mit denen man besonders gut Tetris spielt?
  • Project Management Business Partner Single Aisle
    • Hier lasse ich mal Google Translate sprechen:
      Projektmanagement Geschäftspartner ein Gang
  • Tender Specialist
    • Eine Koryfee für Zärtlichkeiten?
  • Group Head Consulting & Planning Out-of-Home
    • Da leitet jemand vermutlich die Beratung und Planung von irgendwelchen Nicht-Zuhause-Dingen
  • Assistant Procurement Manager Dairy
    • Beschaffung von Milch und Käse?
  • Chief Editor (m/f/d) Nature Ageing
    • Ein/e Chefredakteur/in, die/der sich um das natürliche Altern bemüht
  • Industry Head
    • Der Kopf der Industrie. Interessant.
  • Referent Global Payroll Tax Compliance (CMS)
    • Ein Angebot der deutschen Bahn!
  • Corporate Finance Berater/Beraterinnen als (Senior) Associate Corporate Finance / M&A / ECM (m/w/d)
    • Einen Kommentar spare ich mir an dieser Stelle
  • Head of Vigilance and Post Market Surveillance
    • Auch hier muss ich mal die Übersetzungsplattformen bemühen, weil es einfach so witzig ist:
      Kopf der Wachsamkeit und Überwachung nach dem Inverkehrbringen

Hingegen finde ich auch noch Stellenanzeigen mit Bezeichnungen, unter denen man sich ganz konkret etwas vorstellen kann. Das wären beispielsweise:

  • Laborant
  • Maschineneinrichter
  • Automobilverkäufer
  • Vorstand
  • Immobilienkaufmann
  • Finanzbuchhalter
  • Arzt

Beruhigend, oder?

Very international

Der Begriff Office Manager ist heute jedem geläufig und man weiß, dass man diese Menschen am Empfang findet. Und ein Executive Assistant hat dem Assistenten der Geschäftsführung längst den Rang abgelaufen. In bestimmten Berufen macht es sicherlich Sinn, die Bezeichnungen zu internationalisieren, damit unsere ausländischen Geschäftspartner sich mit einem Blick auf unsere Visitenkarte auch ungefähr vorstellen können, wofür wir im Unternehmen zuständig sind. So können sie sich zur Begrüßung entscheiden, ob sie sich tief verbeugen oder uns ihren Mantel zum Aufhängen geben.

Den Hausmeister als Facility Manager zu betiteln befremdet mich jedoch noch immer. Warum bitte muss ein Hausmeister Englisch sprechen? Klar, wenn er in der englischen Botschaft arbeitet, macht das vielleicht Sinn. Aber sonst? Und wenn er dies nicht muss, warum heißt er dann nicht einfach weiterhin Hausmeister?

Nur für Praktikanten scheint man noch kein neues Wort gefunden zu haben, daher macht man weiter mit dem altbekannten. Aber ich hätte da ein paar Vorschläge:

  • New Challenger …
  • First task …
  • Greenhorn …
  • Last link in the chain …

Und alle inzwischen natürlich d/m/w oder m/d/w oder w/m/d – da bleibt man komischerweise bei der deutschen Schreibweise. Schön, dass die Unternehmen das inzwischen hinter den Jobbezeichnungen stehen haben. Aber steht es dort nur oder wissen die Menschen auch, was „Diversität“ eigentlich meint?

Kommen wir mal zu den Inhalten

Wenn ich z. B. in meinem bisherigen Fachgebiet Marketing einen Job suche, erhalte ich Sucherergebnisse, bei denen ich teilweise denke: „Donnerwetter, das hört sich ja toll an“. Ich weiß nicht, was ich unter der Jobbezeichnung verstehen soll und traue mich kaum, die Anzeige für mehr Infos anzuklicken. Tue ich dies doch, stelle ich oft fest, dass ich alle Anforderungen darin erfülle. Das gibt mir zu denken und ich frage mich Folgendes:

  • Habe ich etwas verpennt, sprich: Bin ich zu alt für diesen Kram?
  • Stapeln die alle hoch, damit sie Menschen, die davon gar keine Ahnung haben, von einer Bewerbung abhalten?
  • Kopieren die nur alte und ähnliche Stellenanzeigen und tauschen darin nur den Titel oder eine Anforderung aus, weil sie eh schon arbeitsmäßig überlastet sind
  • Wissen die Verfasser der Anzeige überhaupt, worum es in dem Job geht?

Wie ich von einer erfahrenen Personalerin, Entschuldigung HR Managerin, erfuhr, arbeiten die größeren Unternehmen auch inzwischen ganz anders bei der Personalsuche als früher. Aber klar: früher konnte man draußen auch nur Kännchen bestellen. Sie setzen KI (künstliche Intelligenz ist hier gemeint, für die Dummies unter unseren Lesern) ein, um herauszufinden, ob eine „Person“, oder besser gesagt deren schriftliche Einreichung, zu den Anforderungen passt. Ist also in einer Stellenanzeige nach „Hands-on-Mentalität“ gefragt (zu Deutsch: du kannst dir auch mal die Hände schmutzig machen und gaaaanz schwere Sachen aus dem Lager holen), wird von einer KI-Maschinerie nach diesem Stichwort im CV gesucht. Steht’s dort nicht, bist du raus. Weit gefehlt, wer denkt, das würde im Anschreiben Erwähnung finden müssen. Dahin schaut die KI gar nicht. Das Teil kannst du also einfach nach Schema F runterrattern, liest eh keiner.

Jobs mit den gleichen Bezeichnungen im Titel haben häufig auch die gleichen – in Bulletpoints gefassten – Texte bezüglich des Aufgabenparts in den Stellenausschreibungen. Selbstverständlich sind viele Aufgaben für einen Job auch ähnlich oder gleich, aber häufig beschleicht mich das Gefühl, die haben alle voneinander abgeschrieben. Und so gleichen sich ein Product Owner in Unternehmen 1 und 2 dann auch in der Praxis wie siamesische Zwillinge. Individualität wird eher selten gesucht. Kein Wunder also, dass hierzulande in den Unternehmen „Nieten in Nadelstreifen“ gezüchtet werden.

Wenn ich mir meinen Text nochmal durchlese denke ich, der Leser könnte den Eindruck gewinnen, dass ich zu den Früher-war-alles-besser-Menschen gehöre, die mit der Entwicklung nicht mehr Schritt halten können. Oh je, ich möchte nicht, dass dieser Eindruck entsteht. Schließlich will ich eine gute Personalerin werden. Dafür braucht man viel Toleranz und Offenheit. Aber ein bisschen Ironie muss halt auch mal sein.

Maike: sind dir diese Bezeichnungen alle geläufig? Bitte sag nein!!! Findest du es im Zuge der Internationalisierung wichtig, dass unsere Hausmeister jetzt Facility Manager heißen? Und was würde auf deiner Visitenkarte stehen, nachdem du deinen Traumjob ergattert hast?

Maike

Unter den meisten Begriffen kann ich mir weniger als 0,0% vorstellen, was das für ein Job sein soll. Also bin ich wahrscheinlich einfach nicht dafür gemacht. Klingt aber so, als könnten all diese Stellen von BWLern besetzt werden. Die „Nach der Schule wusste ich nicht, was ich machen wollte“-Fraktion scheint mir genau richtig, um schwammige Aufgabengebiete zu übernehmen, die zumindest im Namen was hermachen.

Zur Bezeichnung „Hausmeister“ muss ich sagen, dass das deutsche Wort Kindheitserinnerungen in mir auslöst. Vielleicht, weil ich noch nicht so lange aus der Schule raus bin. Der Hausmeister war auf jeden Fall immer der Mann für alle Fälle. Der Hansdampf in allen Gassen. Ein Facility Manager scheint mir nicht der Richtige zu sein, um die Jungs-Toilette zu reparieren und die Biologie-Projekte der 8. Klasse im Blick zu behalten.

Aber das ist eine persönliche Assoziation. Natürlich gibt es an jedem Ort Haus-Manager, die das Facility im Blick behalten. Aber ob in dem Berufsstab eine Namensänderung nötig ist? Hausmeister ist doch gut. Allein als Sympathie-Bonus sollten wir die Bezeichnung beibehalten.

Mein Traumberuf bedarf auf meiner Visitenkarte nur ein einziges Wort: Hedonist. Kannst du in Deutsch und Englisch verwenden und es bedarf keiner Telefonnummer, keiner Mailadresse. Als Hedonist bin ich einfach nicht zu erreichen. Leider scheint die Jobsuche nur ein begrenztes Angebot aufzuweisen.

By | 2019-11-12T21:55:22+00:00 03. November 2019|Diese Woche|0 Comments

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